Eine Branche digitalisiert sich von innen heraus
Über Bergsteigen und ein neues Rollenverständnis von Unternehmen
Der Begriff Digitalisierung ist nicht erst seit Beginn der Corona-Pandemie branchenübergreifend von zentraler Bedeutung. Die Herausforderung der Digitalisierung liegt vor allem in ihrer Definitionsvielfalt, in der Zielsetzung sowie der Ableitung operativer Umsetzungsansätze. Wenn es um Digitalisierung geht, findet man viele Stimmen und doch nur wenige konkrete Antworten, welche auf die eigenen Herausforderungen abgestimmt sind. Dabei bietet das Digitalisieren von Geschäfts- und Vermarktungsprozessen viele Möglichkeiten und Chancen für Unternehmen.
Was hat sich verändert? Warum müssen wir unser Handeln hinterfragen
Vielleicht kennen Sie das Buch „Building a Storybrand“ von Donald Miller. Miller macht deutlich, dass anbietende Unternehmen nicht die Heldinnen und Helden eines Marktes sind. Heldinnen und Helden sind die Kunden. Unternehmen auf der Anbieterseite sind die Guides, die dabei helfen, Bösewichte und Probleme zu beseitigen. Das klingt möglicherweise abstrakt, doch genauso vergibt Miller die Rollen in seinem Buch. Folgendes Beispiel macht diese Rollenverteilung deutlich.
Jedes Jahr machen sich hunderte Bergsteigertouristen auf den Weg zum höchsten Berg der Welt. Die Faszination Mount Everest nimmt zu. Von professionellen Bergsteigerinnen und Bergsteigern bis hin zu ehrgeizigen Geschäftsleuten - sie alle träumen von dem einen Moment, auf dem Dach der Welt zu stehen. Wir können nur versuchen nachzuvollziehen, wie es sich anfühlen mag. Es wird ein Gefühl von Stärke sein. Stellt sich die Frage, warum erzählen wir diese Geschichte? Am Ende sprechen alle über Heldinnen und Helden - also jene professionelle Bergsteigerinnen und Bergsteiger sowie ehrgeizige Geschäftsleute - , nicht aber über die Guides, die diesen Aufstieg möglich gemacht haben. Am Mount Everest heißen diese Guides Sherpas. Sie geben den Pfad vor, tragen das Gepäck der Bergtouristen. Sie machen dieses Gefühl für ihre Kundinnen und Kunden möglich.
"Es geht nicht um die zwanghafte Digitalisierung von Allem, was uns zwischen die Finger kommt. Es geht um die Verknüpfung der analogen und digitalen Welt"
Arne Farwick
Über Produkte, Content und Kontext
Zurück zum Thema: Was können wir von dieser Geschichte lernen? Die Grundlage der Digitalisierung ist ein verändertes Rollenverständnis. Wir bewegen uns im Rahmen von Vermarktung zunehmend von der reinen Produktzentrierung. Es geht darum, durch Content und Kontext ein guter Guide für Kundinnen und Kunden zu sein.
Die Corona-Pandemie als Beschleuniger
Branchenvernetzung vor der Corona Pandemie erfolgte zumeist auf analogen Messen. Akteurinnen und Akteure trafen sich, diskutierten und tauschten sich aus. Der persönliche Kontakt ist und bleibt die Grundlage erfolgreicher Geschäftsbeziehungen. Vertrauen im Rahmen dieser geschäftlichen Partnerschaften ist dabei von höchster Bedeutung. Doch eigentlich wird durch Corona ein bereits bestehender Trend fortgesetzt. Fachmessen und internationale Leitmessen kämpfen bereits seit Jahren mit sinkenden Besucherzahlen. Ausstellende Unternehmen hinterfragen daher Budgetpläne und vergleichen Marketingmaßnahmen zunehmend. Durch das Ausbleiben von persönlichen Kontakten muss die Pflege sowie der Aufbau von Geschäftsbeziehungen neu gedacht werden. Bei einer eintretenden Vernachlässigung drohen Vertrauensverlust und Kontaktabbruch. Der Prozess der zunehmenden Entfernung zu (potenziellen) Kunden ist schleichend und es ist harte Arbeit, dem entgegenzuwirken. Vor allem ohne das mächtige Tool einer analogen Messe.
Wie es trotzdem funktionieren kann
Die Heim- und Haustextilbranche hat gezeigt, dass die Verbindung zur Kundschaft und der Informationsfluss auch ohne direkten persönlichen Kontakt aufrechterhalten werden kann. Mit einer Kombination aus Produktpräsentation, Konferenz und Live-Kommunikation konnten sich alle Akteurinnen und Akteure in einem definierten Zeitraum vernetzen. Die ausstellenden Unternehmen haben ihre Kundschaft – den Handel – in das Zentrum ihres Handelns gestellt. Sie haben die Rolle des Guides übernommen und auf sich ändernde Rahmenbedingungen reagiert.
Spannend ist an dieser Stelle vor allem die Impulsrichtung des Digitalisierungsvorhabens. Die Branche definiert gemeinsam Bedarfe und wird so zum Gestalter und Taktgeber eigener Veränderungen. Neue Formate werden getestet, Impulse führen zu konkret abgeleiteten Handlungen und die Kundschaft rückt noch weiter in den Fokus. Die Veränderungen hinsichtlich der Rolle von Unternehmen im Kaufprozess hat automatisch Auswirkungen auf die Art und Weise des Wirtschaftens. Neue Aufgabenfelder kommen hinzu und gewinnen an Bedeutung. Durch das ständige Hinterfragen von Prozessen und die kontinuierliche Anpassung an neue Marktbedingungen können Erfolge gesichert und ausgebaut werden.
Denn am Ende wollen wir doch alle einen Berg erklimmen.
Produktfokus vs. Content- und Kontextfokus
Märkte sind im ständigen Wandel. War es vor einigen Jahren eine zentrale Aufgabe des Verkaufspersonals, Informationen an die Kundschaft zu bringen, agieren sie heute eher in einer beratenden Funktion. Kundinnen und Kunden suchen Informationen auf anderen Wegen. Statistisch ist es sogar so, dass 70% einer Kaufentscheidung bereits vor dem ersten Kontakt zum Verkaufspersonal getroffen wurden.
Der Content- und Kontextfokus wird immer bedeutsamer. Kundinnen und Kunden müssen aus dem Bedarf selbst eine Nachfrage ableiten. Bei dieser Veränderung ist die Digitalisierung ein zentraler Motor, denn häufig sind digitale Angebote Ausgangspunkt der Recherche. Dieses veränderte Verhalten von Käuferinnen und Käufern ist dabei keineswegs ein Phänomen, welches auf Endverbrauchermärkte beschränkt ist. Auch der B2B-Sektor wird zunehmend von dieser Herangehensweise beim Treffen von Kaufentscheidungen bestimmt. Dabei steigt vor allem auch der internationale Wettbewerb.